Vorträge 2010
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Albrecht Gühring:
„Alle Victualien werden nach Ludwigsburg getragen.“
Marbacher Märkte in der frühen Neuzeit.
Vortrag vor dem Historischen Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg am 09.12.2010
Zusammenfassung von Dr. Erich Viehöfer
Im vergangenen Jahr feierte Marbach nicht nur Schillers 250.Geburtstag, sondern auch tausend Jahre Marktrecht. Im Jahr 1009 bestätigte Kaiser Heinrich II. Bischof Walter von Speyer den Markt in dem
Dorf „Marcpach“. Durch einen Markt wurde das einstige Dorf aus der Reihe der umliegenden Dörfer herausgehoben, die meistens älter und sicher größer waren. Nur wenig erfahren wir vom Markt vor dem
großen Stadtbrand 1693, denn die Marbacher Quellenlage ist durch die Vernichtung des alten Stadtarchivs auf Zufallserwähnungen für die Zeit davor beschränkt. Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert wurde der
an Walpurgis (1. Mai) abgehaltene Marbacher Markt auch „Maienmarkt“ genannt und war mit dem Martinimarkt (11. November) neben den Wochenmärkten ein Hauptumschlagsplatz der erzeugten und erhandelten
Güter.
In den unruhigen Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg war zum Schutz der Einwohner eine Stadtwache eingerichtet worden, die man den „Harnisch“ nannte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war
dessen Aufgabe, in Marktzeiten für Ruhe und Ordnung zu sorgen, bei entstandenen Streitigkeiten zwischen Marktbeschickern und Besuchern einzuschreiten und den Marktmeister, der die Aufstellung der
Stände beaufsichtigte, zu unterstützen. Der Marktstandort Marbach wurde jedoch durch den Bau von Schloss und Stadt Ludwigsburg empfindlich geschwächt. Es hatten sobald Ludwigsburg aufgerichtet
word[en], sich die Wochenmärkte in der Statt Marbach fast gar verlohren. Wenn der Hofstaat in Ludwigsburg sei, würden alle victualien dahin getragen, sodass in Marbach nichts oder nur Teures zu haben
sei. Trotz dieser spürbaren Verlagerung der Wirtschaftsschwerpunkte bewahrte die Stadt Marbach auch im 18. Jahrhundert ihr althergebrachtes Marktrecht, wonach zweimal jährlich ein großer Jahrmarkt
sowie einmal wöchentlich der Wochenmarkt gehalten wurden. An jedem Markttag wurde die grüne Marktfahne ausgehängt. Sie zeigte das herzoglich württembergische Wappen und das Marbacher Stadtwappen. Die
Bedeutung der Jahrmärkte im 19. Jahrhundert für die hiesige Einwohnerschaft war groß. Die Jahrmärkte waren ausgedehnter als heute. Die beiden Marktmeister konnten damals über 200 Plätze für
Marktstände vergeben. Auch hinter dem Rathaus und um die Keltern durften Stände aufgestellt werden. Sehr gut besucht waren auch die Viehmärkte, so wurde um 1900 durchschnittlich rund 1450 Stück Vieh
aufgetrieben. Doch schon damals zeichnete sich eine rückläufige Bewegung ab, die schon einige Jahre vorher eingesetzt hatte. Während das 19. Jahrhundert zum Teil noch wachsende Märkte verbuchte,
brachte das 20. Jahrhundert die schwindenden Märkte. Der Marbacher Wochenmarkt wurde vor einigen Jahrzehnten reaktiviert und floriert heutzutage wieder, dagegen scheinen die Marbacher Krämermärkte
eher an Bedeutung zu verlieren.
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Dr. Erich Viehöfer:
Zwischen Zuchthaus und Samariterheim.
Der Ludwigsburger Pfarrer und Schriftsteller Albert Bertsch (1862-1939).
Vortrag vor dem Historischen Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg am 11.11.2010.
Albert Bertsch wurde am 1. März 1862 in Markgröningen geboren. Er war vier Jahre alt, als sein Vater zum evangelischen Hausgeistlichen an der Strafanstalt Ludwigsburg befördert wurde. In Ludwigsburg
besuchte Albert Bertsch das Lyzeum im Gebäude der heutigen Firma Kodweiß. Zur Vorbereitung auf das Theologiestudium ging es zunächst ins Seminar nach Schöntal, zwei Jahre später nach Urach, wo er das
„Konkursexamen“ bestand und sich damit für das „Stift“ in Tübingen qualifizierte. Nach seinem Militärdienst in der Mathildenkaserne bezog er im Wintersemester 1881/82 das „Stift“ und begann sein
heologiestudium. Seine erste Predigt hielt er, noch als Student, in der Kirche von Pleidelsheim. Ein Jahr später bestand er, nach den üblichen acht Semestern, das Examen. Es folgte die Zeit als Vikar
an häufig wechselnden Orten. Als fest angestellter Pfarrer amtierte er mehrere Jahre in Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb, bevor er nach Oppenweiler wechselte. Gaben in Riedlingen die katholische
Majorität seiner Arbeit eine besondere Note und in Buttenhausen die jüdischen Mitbürger, so waren es in Oppenweiler die drei Einrichtungen der Inneren Mission. Da war zum einen das „Samariterheim“
auf Burg Reichenberg. Die zweite Einrichtung, Wilhelmsheim, war eine Neugründung, ebenso die dritte Einrichtung, das „Haus der Barmherzigkeit“, das durch seine Vermittlung auf dem Hofgut Staigacker
angesiedelt wurde. Heute ist darin ein Alten- und Pflegeheim der Diakonie untergebracht. Die Überlastung durch die drei Anstalten und durch den ausgedehnten Einzugsbereich der Kirchengemeinde
veranlasste seine Rückkehr nach Ludwigsburg. Der neue Sprengel, das Königliche Zuchthaus, war vergleichsweise übersichtlich. Albert Bertsch führte den Weihnachtsbaum bei den Weihnachtsfeiern im
Zuchthaus ein. Kinder von der „Karlshöhe“ sangen Weihnachtslieder in den Höfen vor den einzelnen Bauten. Die Förderung des Gesangs als Ausgleich für die Schweigegebot der Gefangenen lag ihm besonders
am Herzen. Über seine Tätigkeit und seine Erlebnisse als Gefängnispfarrer in Ludwigsburg veröffentlichte er im Steinkopf-Verlag eine ganze Reihe von Büchern. Daneben publizierte Bertsch auch
zahlreiche Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, angefangen von der „Ludwigsburger Zeitung“ über den „Schwäbischen Merkur“ bis hin zum „Schwarzwälder Boten“. Nach seiner Pensionierung war er
Mitglied des Gemeinderats. Am 23. Mai 1939 starb Albert Bertsch in Ludwigsburg. Sein Grab auf dem Neuen Friedhof existiert heute noch.
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Dr. Eberhardt Fritz:
Tiergarten Monrepos – Domäne Seegut.
Vortrag vor dem Historischen Verein Stadt und Kreis Ludwigsburg am 14.10.2010.
Zusammenfassung von Dr. Erich Viehöfer
Dr. Eberhardt Fritz, der Archivar des Hauses Württemberg, stellte in seinem Vortrag beim Historischen Verein ein unbekanntes Kapitel des Schlosses Monrepos vor, nämlich die Nutzung des Geländes als
Tiergarten und als Domäne. Herzog Friedrich II, der spätere König Friedrich I., hatte durch Zukäufe ein großes Jagdrevier geschaffen. Es diente nicht nur der Jagd, sondern auch der Erholung und der
Repräsentation, wie die darin befindlichen Gebäude und Anlagen erkennen lassen. Sein Nachfolger, König Wilhelm I., hob den Wildpark bei Monrepos auf. Er hegte eine Passion für die Landwirtschaft und
wandelte den größten Teil des Parks in ein Gestüt für Fohlen um. Schon vorher gehörte eine Meierei mit einer Landwirtschaft zum Schloss Monrepos. Wilhelm I. baute die Landwirtschaft systematisch aus
und benannte die Domäne in „Seegut“ um. Einen Schwerpunkt bildete die Viehzucht. Der Verkauf von Milch auf den nahen Märkten Ludwigsburg und Stuttgart brachte erhebliche Gewinne. Neben Rindern und
Schafen gab es eine Ziegenherde. 1849 gab man die Pferdezucht im Seegut auf. König Karl ordnete bei seinem Regierungsantritt sofort die Wiedereinführung des Namens „Monrepos“ für die Domäne Seegut
an. Dies bildete den Auftakt für weitere grundlegende Veränderungen auf dem Gut. Der ehemalige Gestütshof erhielt den Namen „Wilhelmshof“ und wurde verpachtet. Mit der Verpachtung der Domäne Monrepos
an die Zuckerfabrik Stuttgart endete ihre Rolle als Mustergut. Im Zuge der stark zunehmenden Industrialisierung gewann die Massenproduktion an Bedeutung. Durch die Aufgabe der Selbstbewirtschaftung
und die Verpachtung wurde auch der Betrieb des Gutes Monrepos den veränderten Bedingungen einer neuen Zeit angepasst.
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Dr. Helmuth Mojem:
Der Hausheilige.
Schiller-Traditionspflege und Schiller-Bestand im deutschen Literaturarchiv Marbach.
Vortrag vor dem Historischen Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg am 11.03.2010.
Zusammenfassung von Dr. Erich Viehöfer
Dr. Helmuth Mojem, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs Marbach und Leiter des Cotta-Archivs, gab in seinem Vortrag beim Historischen Verein einen
tiefen Einblick, wie seine Institution mit Schiller umgeht.
Friedrich Schiller ist allgegenwärtig in Marbach. Und trotz Kafka und Döblin bleibt Schiller im Deutschen Literaturarchiv (DLA) der Hauspatron. In Marbach wird seit über hundert Jahren kontinuierlich
Schiller gesammelt, Handschriften, Bücher, Dokumente, Zeitungsausschnitte, Bilder, Gegenständliches usw. An Handschriften besitzt das DLA unter anderem äußerst seltene Gedichthandschriften oder
Fragmente von unvollendeten Dramen. An Prosamanuskripten sind vor allem Stücke aus der Karlsschulzeit vorhanden. Der Schwerpunkt des Marbacher Schiller-Bestands sind jedoch die Briefe. Diese können
im Weimarer Nachlass allenfalls als Konzept oder als Abschrift überdauert haben, da sie von Schiller ja abgeschickt wurden. Von allen Handschriftenarten wird versucht neu auftauchende Stücke hinzu zu
erwerben, Schnipsel aus den Dramen-Manuskripten oder den Vorarbeiten dazu, aber auch Briefe, wobei die Spannweite von richtigen Schriftstücken bis hin zu bloßen Briefumschlägen reicht. Außer den
Schiller-Handschriften verwahrt das DLA noch zahlreiche weitere Schiller-Dokumente, zum Beispiel Bücher aus seiner Bibliothek, die Rückschlüsse auf seine Lektüre zulassen. Oder Widmungsexemplare, wie
die neulich erworbene Erstausgabe der „Maria Stuart“ mit Widmung an den Stuttgarter Kupferstecher Johann Gottfried Müller.
Schließlich besitzt das Archiv noch den gegenständlichen Nachlass Schillers, also Kleidungsstücke, Dinge des täglichen Gebrauchs, Bilder, Erinnerungsstücke. Im Gegensatz zu den Handschriften, wo über
ein Jahrhundert hinweg gesammelt wurde, handelt es sich hierbei tatsächlich um den Nachlass, der aus der Familie heraus ins Haus kam, allerdings in mehreren Abschnitten und jeweils aus verschiedenen
Zweigen der Schiller’schen Nachkommenschaft. Am Tag der offenen Tür sind diese materiellen Hinterlassenschaften von Schiller ein besonderer Anziehungspunkt der zahlreichen Besucher. Von allen Formen
der sekundären Beschäftigung mit Literatur ist der Weg über die originalen Werk- und Lebenszeugnisse des Autors der authentischste, denn er öffnet eine „Hintertür zu diesem geistigen Kosmos“.
(e.v.)
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Dr. Herbert Hoffmann:
Industrialisierung einer Kulturlandschaft.
Das Strohgäu – Kornkammer und industrielle Vorzeigeregion des Landes.
Vortrag vor dem Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg am 11.02.2010.
Zusammenfassung von Dr. Erich Viehöfer
Strohgäu: das ist heute ein Begriff in aller Munde, zumindest im westlichen Teil des Landkreises. Es gibt ein „Strohgäu-Sinfonieorchester“, Strohgäuhotels und Strohgäuapotheken und in Hemmingen sind
„Strohgäunarren“ unterwegs. Im 20. Jahrhundert war der Begriff „Strohgäu“ zunächst offenbar nur wenig in Gebrauch. Vermutlich war die Zuordnung der Gemeinden des Strohgäus zu zwei Oberämtern
(Leonberg und Ludwigsburg) der Ausbildung einer gemeinsamen Identität im Wege.
Das Gäu ist eine landwirtschaftlich intensiv genutzte Gegend, dessen Böden in der Hauptsache aus Löss bestehen. Die fruchtbaren Äcker garantierten überdurchschnittliche Ernten und damit ausreichende
bis gute Einkommen für die Bauern. Neben den Äckern waren noch die Obstwiesen von gewisser wirtschaftlicher Bedeutung. Man erntete Mostobst für den eigenen Gebrauch. Höherwertige Sorten für den
Handel spielten noch keine Rolle. Das Strohgäu war also zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine blühende, von der Landwirtschaft geprägte Landschaft.
Neue Impulse brachte die Eisenbahn. 1868 wurde die Strecke Zuffenhausen – Ditzingen eröffnet. Schon bald sprach man vom „Milchbähnle“. Am Ditzinger Bahnhof wurde die frische Milch aus den Strohgäu
gesammelt und nun per Zug nach Stuttgart gebracht. Der Milch folgten schon bald die Rüben und andere Handelsfrüchte.
Die „Strohgäubahn“ sollte ursprünglich von Zuffenhausen bis nach Pforzheim führen. Die armen Gemeinden des Heckengäus stiegen sehr früh aus, so dass die Bahnlinie in Weissach endet. 100 Jahre später
ist sie Zubringerbahn für die S-Bahn und transportiert ausschließlich Menschen. Die Eisenbahn veränderte nicht nur die Struktur der landwirtschaftlichen Produktion. Sie schuf durch regelmäßige
Verbindungen auch neue Verdienstmöglichkeiten in der aufstrebenden Industrie.
Aus Handwerksbetrieben entwickelten sich Industriebetriebe. Das „Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre brachte eine ungeahnte Dynamik in die industrielle Entwicklung des Strohgäus. Die maßgeblichen
Standortfaktoren hatten sich aber verändert. Nun war nicht mehr allein die Eisenbahn wichtig. Entscheidend wurde der Anschluss an das neue System der Fernstraßen. Große Firmen wie Bosch und Siemens
siedelten sich an. Aus der einstigen „Kornkammer Württembergs“ ist die industrielle Vorzeigeregion des Landes geworden.
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Dr. Kai Naumann:
Wenn es beim Jagdschloss geblieben wäre.
Über Nutzen und Nachteil der Gründung Ludwigsburgs für die benachbarten Dorfgemeinden.
Vortrag vor dem Historischen Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg am 14.01.2010.
Zusammenfassung von Dr. Erich Viehöfer
Welche möglichen Entwicklungen hätte es ohne Ludwigsburg für die umliegenden Dörfer gegeben, welche Entwicklungen wären unwahrscheinlich gewesen? Ein spannendes Kapitel „ungeschehener Geschichte“
präsentierte Dr. Kai Naumann vom Staatsarchiv Ludwigsburg in seinem Vortrag beim Historischen Verein.
Die neu gegründete Stadt Ludwigsburg profitierte im 18. Jahrhundert ohne Frage von den umliegenden Ortschaften. Für diese Ortschaften ist dagegen ihre Bilanz nicht so eindeutig. Die Akten sind zwar
voller Klagen über die Nachteile, über die Schäden und Aufwendungen für das Militär oder über die Nachteile für die Landwirtschaft durch die höfische Jagd. Dem standen aber unzweifelhafte Vorteile
gegenüber, wie die Möglichkeit Lebensmittel in der Stadt zu verkaufen und die Gelegenheit dort Lohnarbeiten anzunehmen. Die Nähe zur Residenzstadt schadete offenbar nicht. Die Einwohnerzahl der
umgebenden Dörfer stieg und ihr Wohlstand mehrte sich im Vergleich zu den Orten, die in größerer Entfernung von Ludwigsburg gelegen waren. Durch den Bau von Kasernen wurde das Militär ein wichtiger
Kunde und Auftraggeber für Handwerker; es bot auch jungen Männern aus den umliegenden Dörfern eine lohnende berufliche Perspektive. Ebenfalls positiv ist das Resümee im Bereich der Bildung: Ohne die
Gründung und den Aufstieg zur Residenz und Amtsstadt wäre der Ludwigsburger Boden nicht zur Wiege einer solchen Vielzahl von Intellektuellen geworden, von denen Mörike, Kerner, Strauß oder Vischer
nur die bekanntesten sind.
Wie aber hätte die heutige Gemarkung Ludwigsburg bei einer solchen alternativen Entwicklung ausgesehen? Vielleicht bestände sie heute noch überwiegend aus fruchtbarem Bauernland. Der Bahnhof wäre
wohl viel weiter westlich zwischen Pflugfelden und Eglosheim gebaut worden, wovon dann beide Gemeinden profitiert hätten, während das abgelegenere Oßweil eine eher zögerliche Entwicklung genommen
hätte. Neckarweihingen und Poppenweiler wären heute vielleicht Ortsteile von Marbach. Ohne die Gründung der Stadt sieht diese hypothetische Welt insgesamt etwas stiller und provinzieller aus als die
Realität.
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